Brocken-Challenge 2012 | eine ‚ultrakurze Laufgeschichte‘ von Mario Bartkowski [Teil 10]

Hallo Zusammen!

Mit der nunmehr zehnten Episode möchte Ich alle interessierten Leser nicht länger auf die Folter spannen, darum wird auch nicht lange gefackelt – let’s go!
Die letzten neun Episoden findet Ihr wie gehabt in der Kategorie Wettkampf: Brocken-Challenge (11.02.2012).

Viel Spaß beim Lesen,
Euer Mario



Ruhmequelle (172 m NN, 30.7 km) | 11,8 km bis zum VP Barbis

Von einer vereisten Thermosflasche und anderem Klimbim

Weiter ging es über die Landstraße nach Ruhmspringe. Diese angenehme Stille in einer mir fremden Umgebung mit ständig wechselndem Terrain…herrlich! In einiger Entfernung folgte ich einem Läufer vor mir und erreichte schließlich ohne besondere Zwischenfälle die Ortschaft. Auch hier war nicht viel los auf den Straßen, trotzdem hieß es aufpassen, die ersten Autofahrer waren unterwegs. Dann erreichte Ich die Ruhmequelle – und mir klappte der frostige Unterkiefer knarzend nach unten!

Ich konnte nicht anders, staunend machte ich halt, denn so etwas schönes bekam man nicht jeden Tag zu Gesicht…!

Bestimmt konnte man diese Quelle blubbern hören, wenn man sich ganz doll anstrengte beim Lauschen. Es war schon schwer vorstellbar, das die Wassertemperatur dieser drittgrößten Quelle Deutschlands ganzjährig 8 bis 9 Grad betrug und jeder Bundesbürger täglich mit gut drei Litern Wasser versorgt werden könnte.

Bildete Ich mir ein, das es kälter, frostiger, eisiger wurde …? Ich mußte dann doch ein wenig das Zeitgefühl beim Betrachten der malerischen Quelle verloren haben, also lief Ich zügig weiter. Irgendwie ja fies: Dir wird zur Abwechslung wieder was für’s Auge geboten, aber nein, wegen der unmenschlichen Kälte kannst nicht lange an einem Ort verweilen, ohne Dir Gefrierbrand wegzuholen. Am Verpflegungspunkt angekommen, dachte ich natürlich als erstes an die verflixte Thermosflasche !

Es gab hier – noch(!) – heißen Zimt-Tee. Mir war es peinlich, einen der Helfer darum zu bitten, mir die Flasche zu öffnen……darum tat ich es nicht. Tja. Im Ernst: Wie hätten die tapferen Streitkräfte in dieser Mordskälte denn auch bitteschön eine komplett vereiste Thermosflasche freisprengen sollen ? Im Hintergrund stand ein Johanniter-Wagen. Stand Ich hier gerade zulange rum ? Ich hatte keine Lust, jetzt schon vorzeitig aus dem Rennen gezogen zu werden. Ich wollte nicht die Aufmerksamkeit auf mich lenken. Die guckten doch bestimmt schon argwöhnisch..?! Also hatte Ich auch hier beschlossen, zwei Becher Kräutertee zu trinken. Dieser Tee beflügelte meine Sinne, ich mutmaßte, dass da irgend ein Aufputschmittel drin war. Anders konnte Ich mir auch nicht vorstellen, wie die inneren Organe das Ganze ohne Drogen mitmachten. Ich wollte schon fragen, entschied mich dann aber doch, es dabei zu belassen…und an einen weiteren Prinzenrolle-Keks zu lutschen. Unter einem der Tische stand ein ASFM-Kanister…das musste wohl das Aufputsch-Konzentrat sein. Ich hielt besser meine Klappe, Schweigen ist Gold.

Kekse, Kekse, Kekse! Viel zu einseitige Ernährung, aber es wollte sonst nix in den Magen…verflixt! “Hach,was solls, ich bin wieder weg“, dachte Ich und lief prompt weiter. Ich spinnte den Gedanken mit der Thermosflasche jedoch weiter: „Spätestens in Barbis müsste mir dann aber jemand mit der dämlichen Pulle helfen. Und wenn Jens die letztlich mit einer Brechstange knacken mußte!“ Der erste Ultra, und irgendwie wollte ich das Gefühl nicht loswerden,das ich in teilweise falsches Equipment investiert hatte. Der Rucksack war bisher nur lästig, überhaupt kein bisschen praktisch! Nur unnötiges Gewicht. Und das bisschen Erste-Hilfe-Krimskrams hätte Ich in den Jackentaschen mit mir führen können. „Nächstes Mal machst das auch“, ärgerte Ich mich innerlich. Fazit bis hierhin:

Geile Jacke – Check! Geile Schuhe – Check! Geile Klamotten – Check! Alles andere: Müll !



Die direkt nach dem Verpflegungspunkt beginnende Steigung wollte erstmals kein Ende nehmen! Was war denn jetzt plötzlich los? Der Forstweg schlängelte sich gnadenlos nach oben. Ich fühlte mich zwar immer noch Fit, traute mich aber diesmal nicht, diesen ununterbrochenen Anstieg durchgängig laufend zu bewältigen, immer die zweite Hälfte der Gesamtdistanz vor Augen. „Das muss jetzt beim ersten Ultra nicht sein, teile Deine Kräfte ein…“, dachte Ich verbissen und musste mich zwingen, zügig zu gehen, nicht langsam, sondern in schnellen schritten. Das Gefühl war jedoch enttäuschend und niederschmetternd. Nicht die Steigung war’s, sondern die Tatsache, das ich es wirklich hasste, bei einem Wettkampf gehen zu müssen. Nicht einmal bei meinem allerersten Wettkampf – dem Halbmarathon im Mai letzten Jahres – wollte Ich gehen. Damals war Ich schon bei km 11(!) am absoluten Ende von allem und hatte mich nur noch sehr zombieartig und sabbernd nach vorne geschleppt. Ich musste einst beim Halbmarathon den Mitläufern eine Heidenangst eingejagt haben. Und nun der erste Ultra…den ich nicht gehend bewältigen wollte, sondern laufend! Wie trotzig…natürlich meldete sich wieder Hubert ‚Yoda‘ Beck im Hinterkopf mit der mahnenden Stimme der Vernunft:

Kurz bevor sich Yoda gänzlich verabschiedete, meinte Ich jedoch noch vernommen zu haben wie er lachend ergänzte: “Achja, Mario, und die Typen,die um die vorderen Plätze fighten, sind trotzdem geiler wie Du, haha…“ Na toll! War es echt schon so Schweinekalt, das mir meine Gedanken einen kleinen Streich spielten ? Während des unaufhaltsamen Anstiegs hatte Ich trotzdem einige Läufer überholen können.Ha! War schon irgendwie ulkig: Vor Dir ein Läufer, im Schneckentempo holst Du auf, bist dann einen Moment lang mit dem ‚Kontrahenten‘ auf Augenhöhe, dann verschwindet dieser zeitlupenartig hinter Dir. Du schaust nach vorn, kämpfst schneckig-verbissen weiter, und erspähst schon den nächsten vor Dir, nimmst die Verfolgung auf. Der Kompromiss aus zügigem Gehen und Laufen sollte den restlichen Anstieg bestimmen, nun hieß es: Niemals aufgeben, niemals kapitulieren!



Nach einer halben Ewigkeit im Gehölz ging es endlich wieder ins offene Gelände! Der eisige Wind schlug mir kurzzeitig ins Gesicht! Dann leichter Schneefall. Mehr oder weniger flach ging es weiter, der Anstieg lag hinter mir. Ich genoss nun die leichte Bergab-Tour und war eine ganze Weile in sehr lockerem Tempo unterwegs. Das eigene Befinden war prächtig, ich wurde nicht langsamer. Und die Witterungsbedingungen ? Obwohl die Sonne ja nun schon Richtung Zenit unterwegs war, spürte Ich am eigenen Leib, das es kälter wurde. Es war nicht im Sinne von unangenehm, eher im Sinne von: ‚Es ist da, es lauert und es wird dich holen wenn Du stehenbleibst.‘ Am liebsten wollte ich jetzt trotzdem anhalten, um die wieder einmal prächtige, hügelige Landschaft zu betrachten.

„So sähe ein schneebedecktes Auenland wohl aus…“, dachte ich. Das erinnerte mich an mein ganz spezielles Vorhaben: Ich hatte noch diese Karten, die wollten auf dem Schicksalsberg verbrannt werden. Nie war ich motivierter, warum also vom Gas gehen? Ich befand mich grad irgendwo bei Königshagen und vor mir sah ich reihenweise Läufer, wie Sie sich zickzackartig bis zum Horizont hoch schlängelten. Die Serpentine, was ein toller Anblick…ich ärgere mich, mit dem richtigen Fotoapparat hätte das Bild Klasse ausgesehen. Aber wir waren hier ja nicht in Rom bei ner Sightseeing-Tour…
Viele waren am Wandern, ich probierte es jedoch mit der bewährten Kombination Gehen und Laufen und konnte auch diesmal einige überholen.

Über die letzten Hügel…

Als ich den Aussiedlerhof entdeckte, wußte ich, das Barbis nun sehr bald in Sichtweite kommen würde. Ich war wieder sehr aufgeregt, denn meine Frau, mein Töchterchen und Kumpel Jens hatten ja die Absicht, mich dort zu treffen- Freude! Ich machte mir um mein kleines,tapferes Töchterchen Angelina große Sorgen: Gerade mal 4 Jahre jung, stand Sie nun wartend in der Eiseskälte und wartete auf Ihren Papa! Dieser Gedanke gab mir plötzlich die Kraft und den nötigen Elan: Ich erhöhte das Tempo abermals! Vor mir ein zugefrorener See…das musste der Berberteich sein. Ich beschleunigte weiter, bog rechts ab und nahm die Beine in die Hand.

Vor mir kam jemand mit zwei großen Hunden entgegen. „Keine Sorge, die beißen nicht…“, rief er mir schon von Weitem zu. “Jaja, die sehen lieb aus und so!“, entgegnete Ich hastig beim vorbeirennen. Der Blick der beiden Hunde sprach aber gänzlich andere Bände! „Wauwau’s, bleibt bloss lieb, hört Ihr?“, dachte ich dann nur, kaute auf meine eiskalte Lippe rum und blickte nicht mehr zurück. Noch mehr Spaziergänger kamen mir entgegen, ich war erstaunt. Nun kamen die Leute wohl langsam aus den Betten gekrochen, oder wie ? Gemütliches Volk hier…wohl doch Auenländer? Ein älterer Herr stieg gerade aus seinem Auto, sah mich um die Ecke flitzen und klatschte spontan und begeistert in die Hände. “Jawoll !! Junge, Du machst das ja fabelhaft, weiter so !!“ Ich grinste. Das wurde ja immer besser hier! Barbis war spontan Spitzenreiter der symphatischsten Orte auf diesem Planeten – neben Göttingen!

…zum fröhlichen Empfang!

Ich schaute rasch auf die Uhr, wollte wissen, wie spät es ist. Ich war knappe 5 Stunden unterwegs und erreichte nun endlich die Ortschaft Barbis. „Marathon in 5 Stunden, ich hab mich doch tatsächlich verschlechtert,tztz…“, witzelte ich innerlich. Ich war echt gut drauf! Ich befand mich nun auf der Hauptstraße, aber mit jedem Schritt war ich mir mehr und mehr sicher, das da vorn am anderen Straßenende und Ortsausgang Barbis die Drei auf mich warteten! Jetzt hatte Ich ein richtig breites Grinsen im Gesicht! Da war vor mir noch ein Läufer, der Enthusiasmus reichte, um den auch noch mitzunehmen, also überholte ich! Ich erkannte nun, das die Kleine etwas in der Hand hatte…war das eine Rassel ? Tatsache…wie geil! Die Süsse zerrte gerade an der Jacke meiner Frau und zeigte auf Ihren Papa, der sich zügig näherte. Meine Frau fing an zu winken, hatte ein Schild in der Hand, und mein Kumpel Jens filmte sogar mit seinem Smartphone. Alle hatten Schilder bei sich, auf denen aufmunternde Sprüche wie „Go Schatz ILU Du packst das“, „Go Mario, Du coole Sau“ und „Lauf Papa Du bist der Beste“ standen. Ich näherte mich nun im lockeren Tempo meinem allerliebsten Publikum: Meinem besten Freund und meinen beiden Frauen!


„Hey!“, rief Ich allen zu. Ich war überwältigt, Sie alle zu sehen, es war ein so tolles Gefühl, unbeschreiblich!
Hatte Ich gerade tatsächlich schon die Hälfte der Gesamtdistanz geschafft ? Überglücklich über das bisher Erreichte umarmte Ich alle Drei. Halbzeit, Strike!